Eine Menge Verhandlungen, viele offene Fragen, keine Gerechtigkeit
Nächster Verhandlungstermin: 17 September 9 Uhr
Da nächste Woche der Prozess gegen Günther vorgesetzt wird und in der Zwischenzeit eine Vielzahl an Verhandlungen und Untersuchungen am laufen sind wollen wir hiermit einen ausführlichen Stand der Dinge aus unserer Sicht darlegen.
Schon die dem ersten Freispruch folgenden Verhandlungen haben gezeigt, dass der erste Freispruch ein Zufall war und sicher kein Beleg für einen in der Justiz gefundenen Konsens ist, die Ereignisse am 1 Mai einer objektiven Klärung zuzuführen oder gar den Betroffenen Gerechtigkeit angedeihen zu lassen. Wer nach dem ersten erfreulichen Prozessergebnis naiver Weise daran ging ihr_sein Vertrauen in den Rechtsstaat zu festigen wurde sogleich je enttäuscht. Natürlich hat das starke und ungebrochene mediale Interesse bislang schlimmstes verhindert und konnte jeder Versuch der Polizei und der Staatsanwaltschaft die mit einem Verfahren bedachten Demonstrant_innen zu kriminalisieren zumindest gebremst werden, Gerechtigkeit zu erwarten ist aber Dummheit.
Hier also erst mal eine Auflistung der Prozesse vor dem Landesgericht und danach eine Liste aller Institutionen die sich mit dem 1. Mai beschäftigen bzw. vorgeben dies zu tun.
Fall 1 'Hansi' Der rechtskräftige Freispruch gegen Hansi, der wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt wurde, hat sich in der Zwischenzeit schon herum gesprochen. Was wie zu Erwarten ausblieb, ist eine strafrechtliche Verfolgung jenes Beamten, der mit massivem Schlagstockeinsatz, ohne vorheriges Auffordern (wie er im Prozess immer wieder beteuerte – und auch auf dem Polizeivideo ist nichts dergleichen zu sehen) auf Hansi losschlug und diesen dadurch am Arm verletzte.
Fall 2 'Günther' Der zweite Termin vom Prozess gegen Günther findet am 17. September um 9 Uhr im Landesgericht Linz, Saal 403 (4. Stock) statt. Bei diesem Termin werden erst einmal alle Polizisten einvernommen die beim ersten Termin nach stundenlangem warten unverrichteter Dinge wieder gehen mussten. Danach kommen die Zeug_innen der Verteidigung zu Wort. Auch die schon oft zitierten Videos werden wohl wieder eine Rolle spielen. Nächsten Donnerstag ist mit einer Entscheidung des Einzelrichters zu rechnen.
Fall 3 'Jugendlicher aus der Steiermark' Das Verfahren gegen jenen Jugendliche aus der Steiermark dessen Verhandlung Mitte August fortgesetzt wurde endete mit einem Schuldspruch. Genauer mit einem Schuldspruch in einem Anklagepunkt und einem Freispruch in einem weiteren. Im 1. Anklagepunkt, gegen vorrückende Polizeieinheiten tätlich geworden zu sein, wurde er von der Richterin schuldig gesprochen. Grundlage für das Urteil waren die Aussagen der 2 Beamten die ihn festgenommen hatten. Obwohl die von seinem Anwalt vorgelegten Videos keinerlei strafbare Handlung zeigen und er in den besagten 1,5 Sekunden, in denen er geschlagen bzw. getreten haben soll sogar in die entgegengesetzte Richtung schaute. Im 2. Anklagepunkt, bei seiner Festnahme gegen die Beamten getreten zu haben wurde der 18 jährige Demonstrationsteilnehmer freigesprochen. Auch hier haben die Beamten vor Gericht ihre Wahrnehmung korrigiert. In der Anklage stand noch er habe mutmaßlich gegen die Beamten bei seiner Festnahme getreten, vor Gericht waren sie sich dann nicht mehr so sicher. Was wiederum die Frage aufwirft, wie weit diese beiden Zeugen als glaubwürdig erscheinen, bzw. warum es in Österreich trotz Mangel an Beweisen einer strafbaren Handlung aufgrund 2er Aussagen von Polizeibeamten zu einer Verurteilung kommen kann. Aus Mangel an Beweisen für den/die Angeklagte_n ist wohl eher eine hohle Phrase in der österreichischen Rechtssprechung. Der zweite Freispruch ist jedoch irrelevant, das Verfahren endete mit einem Schuldspruch: eine bedingten Geldstrafe von 360 Euro (180 Tagsätze zu je 2 Euro) oder 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe. Um einiges höher wird vermutlich der noch zusätzlich zu zahlenden Kostenersatz für das Verfahren ausfallen. Sein Anwalt legte volle Berufung ein (wegen Nichtigkeit, unrichtige Sachverhaltsfeststellung, unrichtige rechtliche Beurteilung), das Urteil ist somit nicht rechtskräftig. Wann das Berufungsverfahren (Verfahren in zweiter Instanz) stattfinden wird ist noch nicht absehbar. Interessant bei dieser Verhandlung war überdies, dass die Staatsanwältin gar nicht auf einen Schuldspruch plädierte - sie meinte das sei Auslegungssache - das jedoch der Eindruck gewonnen werden konnte die Richterin wolle um alles in der Welt das Verfahren mit einem Schuldspruch beenden. Das lässt wiederum die Vermutung aufkommen, es werde zwanghaft nach einer Legitimation für diesen Polizeieinsatz am 1.Mai gesucht, sowie Zweifel an der Unabhängigkeit des Gerichtes aufkommen.
Fall 4 'junge Demonstrantin' Jenes Verfahren gegen eine junge Demonstrantin der vorgeworfen wurde einen Polizisten verletzt zu haben (was immer eine schwere Körperverletzung bedeutet, auch wenn es nur ein Kratzer ist) wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Hiermit wurde ein weiterer Versuch der Polizei vereitelt Demonstrant_innen für das Fehlverhalten der Polizei büßen zu lassen indem das Phantom der gewalttätigen linken Demonstrant_innen bemüht wird.
Fall5 'Rainer Zendron' Einen Termin für die Verhandlung gegen Rainer Zendron gibt es noch nicht. Nun ist nur von der Staatsanwaltschaft (auf Weisung des Justizministeriums) verfügt worden, dass Rainer nur mehr wegen einem der anfänglich drei Vorwürfen angeklagt wird. Von 2x Widerstand gegen die Staatsgewalt und 1x schwere Körperverletzung ist nur 1x Widerstand übrig geblieben. Konkret wird ihm vorgeworfen die Verhaftung einer Demonstrantin verhindert haben zu wollen. Jener Demonstrantin deren Verfahren in der Zwischenzeit eingestellt wurde. Von einer Anklage wegen den beiden anderen Vorwürfen - dem Widerstand gegen die eigene Verhaftung und die Körperverletzung eines leitenden Polizeibeamten - wurde Abstand genommen. Laut seinem Anwalt Rene Haumer wollte die Linzer Staatsanwaltschaft das gesamte Verfahren gegen Rainer einstellen, wurde aber diesbezüglich vom Justizministeriums zurück gepfiffen. Wie auch in dem Fall gegen die Tierrechtsaktivist_innen beweist das Justizministeriums ein weiteres mal, dass es ein politisches Interesse hat an der Verfolgung von politischem Aktivismus. Für den Prozess gegen Rainer hat der Anwalt schon angekündigt dass ungeschnittene ORF Video als Beweismaterial einzubringen. Wir sind gespannt auf neue Bilder. Zumindest dokumentiert dieses Filmmaterial den Schlag eines Polizisten gegen Rainer Zendron. Somit beschränken sich alle Anklagen auf Widerstand gegen die Staatsgewalt. Keiner der anfänglich vorgebrachten Vorwürfe der (schweren) Körperverletzung war es wert vor Gericht verhandelt zu werden.
Um ein wenig Überblick in die vielfache Aufarbeitung zu bringen, nachstehend eine Auflistung aller Institutionen die sich (zumindest angeblich) mit dem gewaltsamen Übergriffen der Polizei auf die 1. Mai Demo in Linz beschäftigen:
Landesgericht Linz Am Landesgericht Linz wurden und werden jene vier Prozesse verhandelt, die aufgrund eines Strafantrags der Staatsanwaltschaft Linz durch eine_n Einzelrichter_in beurteilt und abgeurteilt werden müssen. Nur ein Verfahren wurde zu Gänze eingestellt.
Oberlandesgericht Linz Aufgrund der Berufung im Fall 'Jugendlicher aus der Steiermark' durch den Anwalt findet dieser Prozess in der zweiten Instanz seine Fortsetzung. Die Berufungsverhandlung wird aufgrund der neuerlichen Fristen und Prozessabläufe mit Sicherheit erst im nächsten Jahr stattfinden.
Staatsanwaltschaft Linz Die Rolle der Staatsanwaltschaft Linz in den letzten Monaten ist ambivalent. Erstens wurden gegen vier der fünf von der Polizei als widerständige oder gewalttätige kriminalisierten Demonstrant_innen auch tatsächlich Strafanträge eingebracht. Somit wird die Kampagne der Polizei weitergeführt die Demonstrant_innen als die Überltäter_innen des 1. Mai darzustellen. Zweitens wurde dennoch ein Verfahren gegen eine Demonstrantin eingestellt und auch jenes gegen Rainer Zendron sollte angeblich laut Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Drittens - und dies ist wohl die himmelschreiendste Frechheit in der gesamten Angelegenheit - wurde bis jetzt kein einziger Strafantrag gegen einen der prügelnden Polizisten eingebracht. Dies müsste die Staatsanwaltschaft eigentlich von Amts wegen und selbstständig veranlassen. Im Juni machte zwar medial ein Gerücht die Runde die Staatsanwaltschaft strebe ein Verfahren gegen einen Polizisten an, davon haben wir jedoch auch nie wieder etwas gehört.
Justizministerium Dieses interveniert im Interesse der Polizei und der ÖVP. Nationalrat Im Parlament sind zwei Anfragen zum 1. Mai eingebracht worden, eine durch Peter Pilz und eine weitere durch die Abgeordnete Sonja Ablinger. Beide Anfragen thematisieren einzelne Aspekte des Polizeieinsatzes am 1. Mai und richten sich an die Bundesministerin für Inneres Maria Fekter.
Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) Am 1. September wurde jene Beschwerde vor dem UVS verhandelt die unter anderem von Michael Gehmacher von der SLP eingebracht wurde. Inhalt der Beschwerde war der tätliche Angriff der Polizei gegen Demonstrant_innen durch Pfefferspray durch den die beiden Demonstrant_innen die die Beschwerde einbrachten in ihrer körperlichen Integrität verletzt wurden. Gehmacher musste noch am 1. Mai im Krankenhaus medizinisch versorgt werden da er selbst nach einer Stunden noch immer nicht das Sehvermögen zurück erlangt hatte. Am Verhandlungstag (von 9 Uhr Morgens bis in die Abendstunden) wurde noch keine Entscheidung getroffen, mit einer solchen ist nicht vor Ende September zu rechnen.
Volksanwaltschaft Von der Bearbeitung der bei der Volksanwaltschaft eingelangten zwei Beschwerden ist noch nichts an die Öffentlichkeit gedrungen.
Menschenrechtsbeirat Seit kurzem interessiert sich auch der Menschenrechtsbeirat für die Polizeiübergriffe am 1. Mai. "Der Menschenrechtsbeirat überprüft die Tätigkeit der Sicherheitsexekutive unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte, entfaltet darüber hinaus eine inhaltlich-konzeptive Arbeit und erstattet auf Grundlage dieser Arbeit dem Bundesminister für Inneres Verbesserungsvorschläge."(www.menschenrechtsbeirat.at) In diesem Gremium sitzen Rechtsexpert_innen aus dem Verfassungsgerichtshof, aus universitären Institutionen und aus im Gebiet des Menschenrechtsschutzes tätige nichtstaatliche Organisationen. Der zahnlose Tiger Menschenrechtsbeirat hat jedoch maximal die Möglichkeit ein Fehlverhalten der Exekutive aufzuzeigen und dem Innenministeriums Vorschläge zu unterbreiten.
Büro für Interne Angelegenheiten Von den Ermittlungen bzw. Ergebnissen dieser durch das Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) des Innenministeriums können wir leider nichts berichten, oder habt ihr anderes erwartet?
In Summe scheint die Befürchtung gerechtfertigt, dass es wieder einmal keine Konsequenzen geben wird, weder für die beteiligten Beamten noch für die Polizei als Institution.
NO JUSTICE, NO PEACE!