"Man glaub der Polizei"

derstandard.at
Fre, 2009-08-21

Vertrauen Richter Polizisten vor Gericht mehr als "Normalbürgern"? Eine Geldstrafe für einen 18-jährigen Demonstrations-Teilnehmer wirft Fragen auf

Ein junger Mann wird von einem Gericht (nicht rechtskräftig) wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt bei einer Demonstration zu einer bedingten Geldstrafe von 360 Euro verurteilt. Zwar sprechen Videoaufnahmen, die bei der Demo gemacht wurden, für die Version des Angeklagten, der jede Verwendung von Gewalt dementiert - dennoch sieht das Gericht keinen Grund, den zwei Polizisten, die den jungen Mann belasten, nicht zu glauben. Es sei in deren Aussagen "keine Absicht erkennbar, dass sie einen jungen Menschen verleumden wollten", so die Argumentation (derStandard.at berichtete).

Es steht also Aussage gegen Aussage - wie oft in Gerichtsverfahren. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt: Sind Aussagen von Polizisten immer mehr "wert" als die von Normalbürgern? Und: Wenn zwei Versionen der Tat existieren - wem darf oder muss der Richter Glauben schenken? Gibt es in so einem Fall Vorgaben? derStandard.at hat bei Juristen und Experten nachgeforscht.

Frank Höpfel vom Institut für Strafrecht an der Universität Wien sagt im Gespräch mit derStandard.at, dass es eine Sache der "freien Einschätzung" des Richters ist, wie Aussagen von Zeugen zu bewerten sind. Normalerweise gehe man davon, dass Polizisten kein Interesse haben, irgendetwas falsch zu schildern. Ihnen werde daher zumeist geglaubt. Dasselbe gelte beispielsweise auch für Staatsanwälte. "Wenn Polizisten in einem Wickel drinnen sind, dann ist Vorsicht angesagt", warnt Höpfel jedoch. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit liege aber auch dann beim Richter. Es sei eine "schwierige Kunst", hier immer eine richtige Entscheidung zu treffen.

Polizisten sorgen "für Recht und Ordnung"

Werner Zinkl, Präsident der Österreichischen Richtervereinigung, sagt im Gespräch mit derStandard.at, dass es kein Vorschussvertrauen in die Polizei gebe. Die Aussage eines Polizisten werde vor Gericht "ganz gleich" behandelt, wie jede andere auch. Er gibt allerdings zu denken, dass Polizisten genauso wie Richter die Aufgabe hätten, "für Recht und Ordnung" zu sorgen: „Die Polizei hat keinen Grund zu lügen. Sie gehen nicht leichtfertig mit Aussagen um. Schließlich wollen sie nicht ihren Job riskieren."

Nirgendwo in irgendeinem österreichischen Gesetz steht, dass die Aussagen von Polizisten oder andere Sicherheitsorganen vor Gericht mehr zählen als die von "normalen" Menschen. Sehr wohl wird aber die unterschiedliche Glaubwürdigkeit von Aussagen thematisiert, etwa in den Erläuterungen zur Strafprozessordung. Darin steht etwa, dass Aussagen verdeckter Ermittler oder Informanten besonders kritisch gewürdigt werden sollen.

Grundsatz der freien Beweiswürdigung

Ganz generell steht es aber dem Richter/der Richterin in Österreich frei, die Beweise so zu würdigen, wie er oder sie es für richtig hält - es gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Die Strafprozessordnung sieht vor, dass Richter nach ihrer "freien Überzeugung, die sie aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnen haben", entscheiden. Dabei gilt allerdings das Gebot, im Zweifel für den Angeklagten (in dubio pro reo) zu entscheiden, ebenfalls geregelt in der STPO.

Der Richter darf die Beweise zwar so gewichten, wie er es für richtig hält, auf keinen Fall aber willkürlich entscheiden - er muss die Beweise sorgfältig abwägen und muss, so will es die Literatur, nach Prüfung aller Pros und Contras von einer Tatsache "voll überzeugt" sein.

Wie viel Recherche auch betrieben und wie viele Zeugen auch vernommen werden: Es wird immer Fälle geben, bei denen sich der Sachverhalt einfach nicht endgültig klären lässt, Tatsachen zweifelhaft bleiben. An diesem Punkt kommt der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" ins Spiel.

"Wenn der Richter Zweifel hat, wird er freisprechen"

Der Richter muss die zweifelhaften Tatsachen berücksichtigen, sollten sie zum Vorteil des Angeklagten sein, er darf sie aber nicht berücksichtigen, wenn sei einen Nachteil für den Angeklagten darstellen. Anders ausgedrückt: Der Grundsatz sagt dem Richter zwar nicht, wann er Zweifel haben muss, aber er sagt ihm, wie er zu entscheiden hat, wenn er Zweifel hat.

Allerdings sieht die höchstgerichtliche Judikatur, etwa der OGH, darin keine unbedingte Pflicht des Richters, der für den Angeklagten günstigeren Lösungsvariante zu folgen, wenn sich nicht klären lässt wer Recht hat. Das Gericht kann sich jede Meinung bilden, sofern sie der "Lebenserfahrung" nicht widerspricht.

Der Grundsatz "in dubio pro reo" gelte nicht automatisch, wenn Aussage gegen Aussage steht, meint Strafjurist Höpfel. "Man glaubt der Polizei" sei auch hier ein geläufiges Credo. Aus seiner Erfahrung als Richter berichtet Richtervertreter Zinkl aber, dass der Grundsatz oft angewandt werde. "Wenn der Richter Zweifel hat, wird er freisprechen."

(Rosa Winkler-Hermaden, Anita Zielina, derStandard.at, 21.8.2009)