VfGH erklärt Beschwerderegelung der StPO für verfassungswidrig – und was sich sonst noch tut
[Stellungnahme der Autonomen Rechtshilfe]
Seit der seit 2008 geltenden Strafprozessnovelle haben wir immer wieder erleben müssen, dass der Unabhängige Verwaltungssenat Maßnahmenbeschwerden bezüglich konkreter Amtshandlungen der Polizei aufgrund einer Rechtsunklarheit nicht zulässt und sich für unzuständig erklärt. Somit wurde Opfern von polizeilichem Fehlverhalten eine wichtige Möglichkeit genommen, gegen ein solches Beschwerde einzulegen und die Arbeit der Polizei einer gerichtlichen Nachprüfung zu unterziehen.
Die erste UVS Entscheidung und die Bescheidbeschwerde beim VfGH
Auch bei dem Prügeleinsatz der Polizei bei der 1. Mai Demo 2009 in Linz wurden Demonstrant_innen verprügelt und mit (unangemessener) Gewaltanwendung festgenommen. Daraufhin mussten sich diese auch noch vor Gericht wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ verantworten, wurden jedoch alle freigesprochen. Gleichzeitig entschieden sich zwei der Betroffenen mit der Unterstützung ihres Anwaltes und der Rechtshilfe eine Beschwerde gegen das Vorgehen der Polizei beim UVS einzubringen. Kritisiert wurden darin unter anderem Art und Umstand der Festnahme, die Verletzung durch verbotenen Waffeneinsatz und die Fesselung während der Anhaltung.
Der UVS stellte in einer Verhandlung im Mai 2010 zwar grundlegend klar, dass eine Einkesselung aufgrund des Vorwurfs der Vermummung verfassungswidrig ist – weil eine Verwaltungsübertretung zu keiner kollektiven Einschränkung der grundrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit führen darf – wollte aber zu den konkret kritisierten polizeilichen Zwangsmaßnahmen gegen die beiden Betroffenen keine Stellung beziehen, da sich der UVS durch die neue StPO dafür nicht zuständig fühlte. (rechtshilfe.servus.at/archiv)
Der UVS argumentierte die Ablehnung damit, dass durch die neue gesetzliche Regelung in der Strafprozessordnung eine Beschwerde beim UVS angeblich nur mehr möglich ist wenn die Amtshandlung im Bereich der sicherheitspolizeilichen Agenden (eigenmächtiger Handlungen ohne konkrete Straftat im Dienste von Sicherheit und Ordnung) angesiedelt ist und nicht in den kriminalpolizeilichen (nach einer Straftat als Strafverfolgung im Dienste der Justiz). Die Polizei legitimierte ihr Amtshandlung jedoch mit einem vorher angeblich gesetzen Straftat (Widerstand). Der UVS nahm bei seiner Argumentation Bezug auf den § 106 Abs 1 StPO und dessen Interpretation, dass eine Prüfung der Angelegenheit nur durch ein ordentliches Gericht zu erfolgen hat (die ungleich aufwändiger und teurer ist). Die beiden Betroffenen richteten daraufhin eine Bescheidbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und Anwendung einer rechtswidrigen Norm (Gesetz). Dass die beiden in der Zwischenzeit vom Vorwurf des Widerstandes freigesprochen wurden und somit im Nachhinein festgestellt worden ist, das keine Straftat vorgelegen hat sei nur am Rande erwähnt. Mehr zu dieser Beschwerde und dem zugegeben etwas komplizierten juristischen Sachverhalt: rechtshilfe.servus.at/archiv Der VfGH folgte unserem Begehren und der Beschwerde und änderte kurzerhand das Gesetz.
Wortfolge "oder Kriminalpolizei" verfassungswidrig -
Wiederherstellung einer einheitlichen generellen Beschwerdemöglichkeit beim UVS!
Anfang Mai 2011 urteilte der Verfassungsgerichtshof, dass der UVS in diesem Fall doch zuständig ist und die Beschwerdeführer durch die Ablehnung des UVS in ihren Rechten verletzt worden sind. Schön zu lesen ist auch die Formulierung:
„Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern […] die Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.“[1]
Inhaltlich bezieht sich der VfGH auf eine zuvor getroffene grundsätzliche Entscheidung in einem Gesetzesprüfungsverfahren aus dem Dezember 2010, die auch unter anderem aufgrund der Beschwerde der beiden Betroffenen aus Linz zustande gekommen ist:
„Mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2010, G 259/09 ua., hat er ausgesprochen, dass die Wortfolge „oder Kriminalpolizei“ im ersten Satz des § 106 Abs. 1 StPO als verfassungswidrig aufgehoben wird.“[1]
Somit wurde eine bisher geltendes Gesetz durch den VfGH abgeändert, weil es der Verfassung widerspricht. Dies deswegen, da durch das neue Gesetzt (StPO) die Gewaltentrennung (von Polizei und Justiz) in Frage gestellt wurde und somit der Trennungsgrundsatz im Bundes-Verfassungsgesetz [2]. Dass dies der Fall ist, war zumindest dem BMI schon nach dem ersten Gesetzesentwurf bewusst, aber der Widerspruch zur Verfassung wurde in Kauf genommen. Akte der Kriminalpolizei im Dienste der Strafverfolgung ohne Vorliegen einer staatsanwaltlichen Anordnung oder gerichtlichen Bewilligung sind verwaltungsbehördliche Akte und somit nicht vom Gericht sondern eben dem Verwaltungssenat zu prüfen. Weiters war für diese Entscheidung ausschlaggebend, dass Rechtsschutzsuchende so viel Klarheit wie möglich erwarten dürfen, wo und wie sie Beschwerde einlegen können. Mit der Doppelzuständigkeit von UVS und Gericht und der nicht eindeutigen Interpretation der Gesetzesstellen in der neuen StPO war dies nicht möglich. Nach der EMRK (Europäischen Menschenrechtskonvention) steht aber jeder und jedem das Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz gegen eine behauptete Verletzung von Rechten und Freiheiten zu. Mit dem Wegfall der beiden Wörter besteht wieder Rechtsklarheit und der UVS darf sich wieder zuständig fühlen. Wir dürfen nun wieder gegen jegliche polizeilicher Amtshandlung (vor allem Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt) – egal auf welcher gesetzlichen Grundlage diese vollzogen werden – beim UVS Beschwerde einlegen. Infos dazu: rechtshilfe.servus.at/infos-und-tipps
Neuerlicher Anlauf
Da die Aufhebung eines Gesetzes (oder einer Formulierung in einem Gesetz) durch den VfGH auch auf den Anlassfall zurück wirkt, steht es nun den Betroffenen frei erneut den UVS zu bemühen. Dazu haben sich die beiden schon entschlossen. Nun, nach mehr als zwei Jahren, kann es endlich zu einer gerichtlichen Nachprüfung der Amtshandlung(en) kommen. Nach über einem Jahr Pause geht es nun wieder weiter.
Gleichzeitig hat die Staatsanwaltschaft Linz entschieden, dass die Verfahren (Untersuchungen) gegen die vier an Prügelei und Verhaftungen beteiligten Polizisten eingestellt werden, da ihrer Ansicht nach „kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung besteht“. Diese Benachrichtigung beinhaltet keinerlei Begründung. Damit wollen sich die Betroffenen nicht abfinden. Daher wird nun eine Begründung der Einstellung verlangt, in der die Staatsanwaltschaft ausführen muss welche Tatsachen und Erwägungen der Einstellung zugrunde liegen. Danach kann dann ein Fortführungsantrag gestellt werden über den das Landesgericht zu entscheiden hat. Die Szene die dabei im Mittelpunkt steht ist unter anderem jener brutaler Angriff einer Polizeieinheit auf eingekesselte Demonstranten und die danach folgenden Verhaftungen die auch filmisch festgehalten wurden und schon Berühmtheit erlangten. Mit Spannung erwarten wir nun die erneute Verhandlung vor dem UVS und die Begründung der Staatsanwaltschaft.
Probezeit für einen Polizisten
Jener Polizist, der Rainer Zendron von hinten mit einem Schlagstock traktierte, hat in der Zwischenzeit von der Staatsanwaltschaft eine Diversion (Einstellung des Verfahrens gegen Erfüllung bestimmter Leistungen) angeboten bekommen und hat diese auch angenommen. Somit ist er ohne Verurteilung davon gekommen. Die Diversion sieht so aus, dass von der Fortführung des Strafverfahrens abgesehen wird, wenn dieser Polizist sich innerhalb eines Jahres wohlverhält (Probezeit) und zudem (zuzüglich den Verfahrenskosten) ein Schmerzengeld in der Höhe von € 100,00 an Rainer Zendron bezahlt. Die von der Staatsanwaltschaft in die Wege geleitete diversionelle Erledigung ist über Weisung des Justizministeriums erfolgt (schon wieder eine Weisung). Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich vor, einen Strafantrag einzubringen. Dessen Strafverfahren im Hinblick auf den Vorwurf des Amtsmissbrauchs wurde gänzlich eingestellt.
Gegen einen weiteren Beamten der auf Zendron einschlug wurde das Ermittlungsverfahren wegen Notwehr bzw. Irrtum über eine rechtfertigende Notwehr eingestellt.
Autonome Rechtshilfe (Linz)
[1]http://gegenpolizeigewalt.servus.at/sites/gegenpolizeigewalt.servus.at/files/vfgh_entscheidung_02052011.pdf
[2]Artikel 94. B-VG: Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt.