Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof
Zwei der Betroffenen der polizeilichen Überreaktion am 1. Mai 2009 in Linz hatten beim UVS Maßnahmenbeschwerden eingebracht, da sie sich in ihren subjektiven Rechten verletzt fühlten. Dabei ging es um die brutale Behandlung der Festgenommenen. Kritisiert wurden darin unter anderem Art und Umstand der Festnahme, die Verletzung durch verbotenen Waffeneinsatz und die Fesselung während der Anhaltung. Nicht das erste mal erklärte sich der eigens dafür eingerichtete Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) bei einer solche Beschwerde für nicht zuständig und wies, mit dem Verweis auf die seit Anfang 2008 geltende neue Strafprozessordnung, die Beschwerde ab.
Bescheidbeschwerde
Die beiden Betroffenen richteten daraufhin eine Bescheidbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und Anwendung einer rechtswidrigen Norm. Letzteres soll heißen, dass die herangezogene bzw. geltende Rechtslage die Betroffenen in ihrem Recht die Amtshandlung prüfen zu lassen rechtswidrig einschränkt. Die konkreten Beschwerdepunkte wie Einkesselung, die Verhaftung an sich, Stockschläge, an den Haaren ziehen, am Boden schleifen etc. lassen wir nun einmal beiseite, jetzt geht es um die prinzipielle Frage ob solche Beschwerden beim UVS überhaupt berechtigt sind.
In der Beschwerde an den VfGH wird davon ausgegangen, dass das Recht auf ein Verfahren verletzt wurde, da der UVS in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt und zu unrecht eine Sachentscheidung verweigert. Der Rechtsinterpretation des UVS wird entgegengestellt, dass die gesamte Amtshandlung ohne einen staatsanwaltschaftlichen Auftrag oder einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung erfolgt ist und die Polizei im Rahmen ihrer sicherheitspolizeilichen Kompetenz tätig wurde. Dieses Verständnis wird auch durch die Ergebnisse der Gerichtsverhandlungen bestärkt, durch die alle Beschuldigten vom Vorwurf des Widerstands gegen die Staatsgewalt freigesprochen wurden. Wenn nun die Betroffenen unschuldig sind, gibt es kein strafrechtliches Delikt, wodurch die Anwendung der StPO bei der Amtshandlung auch im Nachhinein durch das Gericht deligitimiert wurde. Daher ist die gesamte Amtshandlung der Verwaltungsbehörde zuzuordnen und eine Maßnahmenbeschwerde gerechtfertigt.
Schlussendlich wird in dem Schreiben angeregt, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten und im § 106 Abs 1 StPO die Wortfolge "oder Kriminalpolizei" als verfassungswidrig aufzuheben. Damit würde wieder Klarheit und Rechtssicherheit gegeben sein. Doch jetzt erst einmal der Reihe nach.
StPO-Novelle
Die umfangreiche StPO-Novelle 2007 legte fest, dass im Ermittlungsverfahren jeder Person, die behaupte, dadurch in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein oder, dass eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme seitens der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei unter Verletzung von Bestimmungen der StPO angeordnet oder durchgeführt worden sei, die Möglichkeit eines Einspruches an das zuständige Gericht zustehe. Ein derartiger Einspruch sei gemäß § 106 Abs. 3 StPO bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. Die bisherigen Bestimmungen zu Beschwerden im Verwaltungsrecht scheinen damit außer Kraft gesetzt, damit jedoch auch ein rechtsstaatliches Prinzip aufgehoben, dass durch die Europäische Menschenrechtskonvention verlangt wird. Die Betroffenen wurden der Möglichkeit beraubt beim Unabhängigen Verwaltungssenat eine Maßnahmenbeschwerde einzureichen. Der UVS kann heute, so scheint es, nur mehr seine funktionelle Unzuständigkeit festzustellen.
Motiv der Änderung war wohl ein einheitlicher strafprozessualer Rechtsschutz. Selbst das BMI hatte 2007 in einer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf dargelegt, dass der neue StPO Paragraph im Widerspruch zu geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen (UVS) steht und somit die Einheitlichkeit weiterhin nicht gegeben sein wird.
Zuständigkeitsabgrenzung
Die in Rede stehenden Regelungen sind insoweit vorentscheidend, als sie das Verhalten der Kriminalpolizei betreffen, welches nicht der Staatsanwaltschaft zuzurechnen ist. Also für die Arbeit der Polizei im Auftrag der StA ist immer das Gericht als Beschwerdestelle zuständig. Falls die Polizei aus eigenen Antrieb agiert, besteht nun eine zweischneidige Zuständigkeit. Nach der alten Rechtslage war die Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate einerseits und der Gerichte andererseits bei der Überprüfung von polizeilichen Maßnahmen derart abgegrenzt, dass ohne richterlichen Befehl erfolgte Akte bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern bekämpft werden konnten. Die durch einen richterlichen Befehl gedeckten Polizeiakte unterlagen hingegen der Überprüfung durch die Gerichte. Nach überwiegender Auffassung ist nun, da die kriminalpolizeilichen Aufgaben auch in der neuen StPO erwähnt sind, die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate dahingehend eingeschränkt worden, dass nunmehr gegen Akte der Staatsanwaltschaft oder der Kriminalpolizei auf der Grundlage der Strafprozessordnung der Einspruch gemäß § 106 StPO an das Gericht und nicht mehr die Maßnahmenbeschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden kann.
Unklarheit bei der Amtshandlung
Die Polizei übt eine Doppelfunktion aus. Einerseits als Sicherheitspolizei (zum Schutz von Recht und Ordnung) und andererseits als Kriminalpolizei (Nachforschung aufgrund von strafbaren Handlungen). Eine Amtshandlung (z.B. Identitätsfeststellung) kann in der sicherheitspolizeilichen oder in der kriminalpolizeilichen Aufgabe der Exekutive begründet sein – oder in beiden. Mit für ein gerichtliches Strafverfahren erforderlicher Sicherheit ist individuell für die Betroffenen nicht festzustellen, auf Grund welcher Gesetzesbestimmung z.b. eine Festnahme ausgesprochen wird. Es ist für die Betroffenen nicht ersichtlich ob die Polizei als Sicherheitsbehörde nach dem SPG (Sicherheitspolizeigesetz) oder als Ermittlungsbehörde nach der StPO handelt. Ganz kompliziert wird es bei "doppelfunktionalen" Ermittlungen. Auf welche Rechtsgrundlage sich einschreitende Organe stützen, ist für Betroffene in der Regel nicht erkennbar. Diese Problematik besteht sowohl für die Rechtsunterworfenen (wir) als auch für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Die sind auch selten Jurist_innen.
Nun müssen Betroffene eine funktionelle Zuordnung der Amtshandlung vornehmen, um den nunmehr zulässigen Rechtsbehelf (wo reiche ich die Beschwerde ein) eruieren zu können. Es ist daher in Frage zu stellen ob dies dem Grundsatz der ausreichenden Klarheit, Bestimmtheit und Kompetenzabgrenzung entspricht. Der Gesetzgeber muss jedoch die Behördenzuständigkeit nach objektiven Kriterien, exakt, klar und eindeutig festlegen.
Antrag des UVS Wien beim Verfassungsgerichtshof
Dieser Antrag brachte die ganze Sache ins laufen und ist durch eine Beschwerde begründet, in der ein Lehrer aus Wien Opfer einer Verwechslung mit einer des Suchtmittelhandels verdächtigen Person wurde. Der UVS Wien geht davon aus, dass die Strafprozessreform die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate, über Beschwerden gegen kriminalpolizeiliche Maßnahmen, verdrängt.
Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit besteht darin, dass unbeteiligte Personen so gut wie nicht ergründen können wie eine Amtshandlung zu interpretieren ist, da diese im Verfahren der eigentlich Betroffenen der Amtshandlung keine Parteienstellung genießen und somit keinen Zugang zu den Akten haben, durch die ergründbar wäre auf welcher Grundlage die Amtshandlung vollzogen wurde. Diese Situation scheint dem antragstellenden UVS nicht im Einklang mit der österreichischen Bundesverfassung, aber auch dem Rechtsstaatsprinzip, zu stehen. Der Antrag beinhaltet weiter die Feststellung, dass die Auslegung dieser Gesetzesstellen nicht unzweifelhaft möglich ist. Wie wir es auch drehen und wenden, der Status quo widerspricht dem Recht auf eine wirksame Beschwerde.
Kritik des Verwaltungsgerichtshofs
Nachdem eine (andere) Maßnahmenbeschwerde beim UVS OÖ wegen Festnahme und behaupteter Misshandlung zurückgewiesen wurde stellte der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof den § 107 Abs. 1 ersten und zweiten Satz und im § 106 Abs. 1 StPO im Eingang die Worte "oder Kriminalpolizei“ der Strafprozessordnung als verfassungswidrig aufzuheben. In diesem Antrag wird auch klargelegt, dass gemäß der EMRK (Europäischen Menschenrechtskonvention) jeder und jedem das Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz gegen eine behauptete Verletzung von Rechten und Freiheiten zusteht. Dies scheint durch die neue Unklarheit nicht gegeben zu sein. In einem weiteren Antrag an den VfGH erläutert der VwGH, dass sich daraus auch verfassungsrechtliche Bedenken im Lichte des Rechts auf den gesetzlichen Richter ergeben können. Der VwGH merkte darüber hinaus an, dass nun eine schwierige Auslegungsfrage betreffend die Reichweite der StPO vorliegt. Weiters wird angesprochen, dass ein Handeln eines Verwaltungsorgans ohne gerichtlichen Auftrag zwar der Verwaltung zuzurechnen ist nun jedoch keine Möglichkeit der Beschwerde beim Verwaltungssenat mehr besteht. Die neue Regelung widerspricht dem Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung.
Die Beschwerden, Anträge und Umformulierungsvorschläge an den Verfassungsgerichtshof werden stetig mehr und zumindest auf der Ebene der Justiz scheint ein Diskurs über die StPO losgetreten worden zu sein. Auf der Ebene des politischen werden wir nicht das Eingeständnis eines Fehlers zu erwarten haben. Zumindest die Polizei scheint mit der jetzigen Regelung sehr glücklich zu sein um sich einer wirksamen Kontrolle entziehen zu können und wird sich die neue Freiheit nicht nehmen lassen wollen. Es wird wohl der Verfassungsgerichtshof die Formulierung als verfassungswidrig erklären müssen um hier eine Veränderung herbei zu führen, das jedoch kann dauern.....
Autonome Rechtshilfe (Linz)