Beschämende Ersatzhandlung

derstandard.at
Don, 2010-07-01

Zur Asylpolitik der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Causa Zogaj: ein offener Brief an Kanzler Faymann - Von Paul Gulda

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, gestatten Sie, dass ich mich heute ganz persönlich an Sie wende, auch wenn ich davon ausgehen muss, dass Ihre Mitarbeiter und nicht Sie selbst diesen Brief bearbeiten werden.

Mein Name ist Paul Gulda, Musiker, in Österreich geboren und wohnhaft, Freiberufler, Wähler, Steuerzahler seit bald 30 Jahren, abgeleisteter Präsenzdienst, Staatsbürger. Politisch interessiert und auch zivilgesellschaftlich aktiv.

Ich betone all das, weil Sie als Volksvertreter auch meine Interessen und die Gleichgesinnter zu vertreten aufgerufen sind: in den im Folgenden behandelten Fragen scheinen Sie aber bedauerlicherweise von diffusen Tendenzen getrieben, die seitens der FPÖ und des Boulevards und seiner Meinungsmache als "Volkes Wille" dargestellt werden. Diese Interessen sind nicht die meinen.

Es handelt sich um die derzeit aktuellen Fragen zu den erfolgten bzw. bevorstehenden Abschiebungen von gut integrierten Personen/Familien ausländischer Herkunft, speziell aus dem Kosovo. (Zogaj, OÖ. Karrica, Nö; Durmisi, Vlbg; Hoti, Bgld. etc.)

Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, dass Zuwanderung Regeln braucht - dass Sie andererseits für eine funktionierende österr. Wirtschaft notwendig ist. Allein in meiner Wohngegend Wien-Meidling werden viele qualitätvsolle Leistungen der Infrastruktur von Zuwanderern erbracht.

Wie diese Regeln auszusehen haben, im Interesse der Österreicher wie der Zuwanderer bzw. Asylanten, ist Sache einer neu zu führenden Debatte. Die entwickelten, reichen Länder hätten in Ihrem eigenem Interesse darüber hinaus die Verpflichtung, sich verstärkt für stabile Zustände in Krisen- und Armutsregionen einzusetzen.In all diesen Bereichen gibt es Defizite, die in Ihrer politischen Verantwortlichkeit liegen. Es scheint mir leider so, als ob diese Defizite durch übertriebene Härte kompensiert werden sollen: dort, "wo es leicht fällt" - also bei Familien, derer man leicht habhaft wird, die hier leben, deren Kinder hier geboren und sozialisiert wurden. Ich lehne dieses Vorgehen meiner Regierung ab.

Über all dies ist schon zur Genüge geschrieben worden. Ich möchte dem aus persönlicher Sicht etwas hinzufügen: Meine beiden Großtanten, Schwestern meines Großvaters Wilhelm Loew, mussten Österreich 1938 fluchtartig verlassen. (Treppenwitz: auch diese drei Geschwister waren auf dem Gebiet des nachmaligen Jugoslawien geboren, nämlich in Zagreb bzw. Istrien).

Sie glaubten sich integriert, und waren es wegen Ihrer jüdischen Abstammung eines Tages nicht mehr. Beide gut ausgebildet, Tante Marianne war Serologin, Tante Jelena Geschäftsfrau. Letztere emigrierte mit Mann und Sohn nach Amerika, der Sohn, mein Onkel Peter L. Berger, ist heute weltbekannter Soziologe, amerikanischer, nicht österreichischer Bürger; mit anderen Worten, Österreich beraubt sich mit der Abschiebung integrationswilliger Ausländer auch möglichen Humankapitals.

Ich glaube, dass Österreich nach wie vor und auf lange Zeit eine besondere Verpflichtung hat, angesichts von 200.000 ausgestoßenen Bürgern in den Nazi-Jahren, deren Schicksal in der Mehrzahl Tod, Entwurzelung, Trauma bedeutete. Staatsbesuche in Israel sind wichtig und heikel - wichtiger noch sind die gelebten Richtwerte in der täglichen Politik.

In diesem Sinne möchte ich auch noch ein par aktuelle Fragen stellen: Wieso kann das Innenressort die Homepage "Alpe-Donau Info" nicht endlich ausforschen und zum Schweigen bringen, wie es das Gesetz vorsehen müsste? - Wieso wird der Staatsvertrag, verbunden mit Erkenntnissen des VfGH, in Kärnten nicht umgesetzt? - Wieso werden Übergriffe der Polizei (in besonders übler Erinnerung: der 1. Mai 2009 in Linz) nicht entsprechend untersucht?

Ich wiederhole, ich hielte dies und die oben angedeuteten Punkte für große und wichtige Aufgaben für unser Land, und speziell für das Innenressort. Das Aufgreifen und Abschieben von integrierten Familien (über den Grad der Integration gewisser eingebürgerter Prominenter ließe sich auch streiten!) ist dem gegenüber eine unmenschliche und beschämende Ersatzhandlung, die in Wahrheit nicht Härte, sondern nur Schwäche aufzeigt.

Ich kann nicht glauben, dass sich Österreich Großzügigkeit gegenüber diesen Härtefällen nicht leisten kann. Großzügigkeit herrscht leider in vielen anderen Bereichen, wo von Misswirtschaft, Verschwendung, ungesetzlicher Begünstigung die Rede sein muss.

Ich protestiere gegen diese Politik und fordere von Ihnen mehr Mut und Vision, insbesondere bei der Beilegung jahrelang verschleppter Fälle. Als Staatsbürger kann ich diese Widersprüche jedanfalls nicht ohne meinen Widerspruch hinnehmen. Selbstverständlich ist Ihr Verhalten hier zugleich Richtschnur meiner zukünftigen Wahlentscheidungen.

Paul Gulda (DER STANDARD - Printausgabe, 2. Juli 2010)