Der 1. Mai in Linz - Fokus: Exekutiveinsatz
Nachdem es letztes Jahr beim alternativen Mai-Aufmarsch von u.a. der kommunistischen Jugend zu gewalttätigen Zwischenfällen mit der Polizei kam, nachdem diese vermummte TeilnehmerInnen einkesselte und schließlich mit Gewalt willkürlich einzelne Personen aus der Menge zerrte, was vielfältig dokumentiert und für entsprechende Aufregung weit über Linz hinaus sorgte, entschloss ich mich, dieses Jahr selber erstmals einen Mai-Aufmarsch zu besuchen.
Nachdem der offizielle, sozialdemokratische, Aufmarsch gegen 11 Uhr am Hauptplatz eintraf, startete der "alternative 1. Mai"-Aufmarsch etwas später, gegen 11.30 Uhr. Beim Treffpunkt im Volksgarten schätzte ich die Menge auf etwa 300 Personen, was (wieder mal) mit der Polizeischätzung (die ich da noch nicht kannte) übereinstimmt. Andere Teilnehmende sprechen von bis zu 800 Teilnehmern. Gut möglich, dass es mehr als 300 Personen waren, zumindest nach Beginn des Marsches Richtung Hauptplatz. 800 dürfte aber auch etwas zu hoch geschätzt sein.
Rückblick 2009
Die Demo verlief dieses Jahr besonders ruhig, nachdem die Vorfälle des Vorjahres die Polizei in ein äußerst schlechtes Licht gerückt haben, nicht zuletzt, da mit dem Vize-Rektor der Kunstuni offensichtlich kein vermummter Chaot festgenommen wurde. Dieser konnte auch vor Gericht glaubhaft nachweisen, dass er eigentlich gar nicht an der Demo teilgenommen hatte, aber nach der Einkesselung dieser Demo sich vom Hauptplatz aus auf den Weg zur Demo machte, und just bei seinem Eintreffen zu sehen, wie eine Bekannte grob von der Polizei behandelt wurde. Als er sich erlaubte, der Polizei zuzurufen, dass sie nicht so grob sein sollen, wurde er schneller unsanft festgenommen, als er schauen konnte. Schließlich sah er sich Vorwürfen wie Widerstand gegen die Staatsgewalt konfrontiert und hatte, wie einige andere Teilnehmer auch, sich vor Gericht zu verantworten. Bis auf einen Fall endeten alle Verfahren in erster Instanz mit Freisprüchen - ebenso auch die Verfahren gegen einzelne Polizisten, denen übertriebene Gewaltanwendung vorgewurfen wurde (was soll das hier sonst sein? Übrigens scheint sich auch hier wieder zu zeigen, wie sehr der ORF unter der politischen Fuchtel steht), was die Richter aber anders sahen. In einem Urteil erlaubte sich ein Richter (oder Richterin?) sogar die groteske Begründung, "ein Polizist würde doch nicht lügen" (sinngemäß zumindest), also im Zweifel eben für die Polizei, Faktenlage hin oder her! Hintergründe und Details zu den Verfahren wurden u.a. hier veröffentlicht: http://antifa.servus.at
Lehren für 2010
2010 zogen daher alle Beteiligten folgende Lehren: Keine Feuerwerkskörper seitens der DemonstrantInnen, keine "herkömmliche" Vermummung: Stattdessen ein kreativer Verkleidungs-Workshop, um auf die Absurdität des Eskalations-Anlasses im letzten Jahr hinzuweisen: nämlich, dass einige TeilnehmerInnen mit Sonnebrillen und Kapuzen ihr Gesicht teilweise versteckten. Solche DemonstrantInnen waren zwar auch dieses Jahr zu sehen, aber offenbar schätzte die Polizei in diesem Fall einen friedlichen Verlauf der Demo doch höher ein, als "auf Teufel komm raus" den offensichtlich ungefährlichen "Vermummten" ihre Maskerade zu verbieten. Außerdem waren dank des Workshops zahlreiche TeilnehmerInnen mit Perücken, aufgeklebten Schnauzbärten, Schminke usw. nahezu barock, oder eher: grotesk, verkleidet. So auch die subversiven Cheerleaderinnen, die mit rosa Outfit und hässlichen Schnauzbärten Anti-Nazi-Chöre intonierten und dazu Tanzbewegungen ausführten ("to the left, to the left, and never to the right ...").
Bis auf die subversive Clown-Truppe, die ein paar uniformierten Beamten gehörig auf die Nerven gegangen sein dürfte (was diese bemüht tolerant ignorierten), da sie sich ihnen immer wieder in den Weg stellten und einmal sogar - kindergartenmäßig, Hand in Hand - einkreisten, gab es keinerlei Aktivitäten seitens der Demonstranten, die polizeilich als Provokation gewertet werden könnte. Und jene paar "Halbvermummte" (Sonnenbrillen usw.), die an zwei Stellen im Demo-Zug als kleine Grüppchen anzutreffen waren, wurden von Exekutivbeamten mehr auffällig als unauffällig gefilmt, fotografiert und nie aus den - zahlreichen - staatlichen Augen gelassen. Womit wir schon beim nächsten Punkt wären:
Skurrile Exekutive
Sehr skurril präsentierte sich die Polizei bzw. die Staatspolizei an der Demo. Gaben Medienberichte (Gratiszeitungen, Boulevard) mit ihrer Nachricht, ein junger Polizei-Offizier solle dieses Jahr den Polizeieinsatz an der Demo führen, Grund zur Sorge, die Polizei würde sich auch dieses Jahr wieder ungeschickt verhalten, zeigte sich vor Ort ein deutlich entspannteres Bild: Die Polizei war nur mit wenigen sichtbaren Beamten vor Ort, praktisch die gesamte "Infanterie" war auf Abruf im Viertel zwischen Neuem Dom und Bahnhof "versteckt" - sie wurde jedoch nicht herangezogen und auch nicht benötigt.
Das skurrile am Ganzen ist aber der massive Einsatz von "Undercover"-Beamten, wobei natürlich für mich als Außenstehenden nicht klar ist, ob diese nun von der Polizei, Staatspolizei oder von sonst wo sind. Jedenfalls fielen sie als äußerst ungeschickt getarnt auf. Ich erlaube mir, den staatlichen Mitlesern hier ihre Tarnungsfehler aufzuzeigen, in der Gewissheit, dass sie an ihrer "Tarnung" ohnehin nichts ändern werden. Und jene gut getarnten Beamte, die aufgrund der Fülle an schlecht getarnter Beamte vermutlich auch in der Menge steckten, sind mir ohnehin nicht aufgefallen. Im Vertrauen auf ein gewisses Mindestmaß an Professionalität der staatlichen Sicherheitsorgane gehe ich aber davon aus, dass ich nicht alle zivilen Ermittler erkannt habe, und auch, dass jene schlecht getarnten Beamte womöglich ganz bewusst nicht unauffälliger in Erscheinung traten - vielleicht wollten sie sich ja doch irgendwie abschreckend für die Demo-Teilnehmer erkennbar machen, ohne gleichzeitig Medien und Zusehern den Eindruck eines massiven Polizeieinsatzes zu vermitteln.
Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, warum Zivil-Cops ihre antiken Funkgeräte samt pompöser Verkabelung so lässig aus ihren Jacken schauen lassen, ihre Ohr-Empfänger nicht besser verstecken (wie wärs mit großen Sombreros oder blumenbestückten Strohhüten?) oder so extrem auffällig die ganze Zeit gewisse Personenkreise anglotzen - oder das Gegenteil - während der gesamten Dauer der Demo sich immer an gewissen Personen orientieren, aber diese nie anschauen, sondern ganz "natürlich" die ganze Zeit miteinander plaudern, Zigretten rauchen und Eis essen - und ganz teilnahmslos die gesamte Demo von früh morgens an begleiten, ohne offensichtlich irgendwie damit zu tun zu haben.
Vorbild: Beastie Boys - Sabotage?
Ein richtiges Beastie Boys-Sabotage-Beispiel gab der "spektakuläre" Schichtwechsel an der Haltestelle Goethekreuzung, respektive im Volksgarten ab. Nachdem sich zwei der vier, laut erfahrenen Demonstranten Stapo-Beamte, schon "unauffällig" in den startenden Demo-Zug begeben haben, gingen die anderen zwei, um als vierer Gruppe nicht aufzufallen, in die andere Richtung, in den Volksgarten, Richtung Demo-Ende. Dort gingen die offenbar nach Vorbild des besagten Beastie Boys-Videos gekleideten StaPos, alle Anwesenden keines Blickes würdigenden, Richtung gegenüberliegenden Park-Ausgang um dann hinter den Bäumen irgendwo in einem Auto zu verschwinden. Während ich mich schon wunderte, warum die zwei Beamte gerade zu Demo-Beginn gehen sollte, näherte sich die Antwort, beinahe die Wege der Kollegen kreuzend, von der anderen Seite: Zwei relativ junge (knapp 40?) Kollegen mit der Ausstrahlung von Streetworkern (Jeans, betont lässige Jäckchen und Umhängetaschen) dem Demo-Ende, um fortan der Demo bis zum Hauptplatz an immer der selben Stelle (zuerst knapp hinter der Demo, dann daneben) zu folgen. Die ganze Zeit über schienen sie sich kein bisschen für die Demo interessieren - sie haben sie so gut ignoriert, als einzige weit und breit, dass es schon wieder auffällig war. Während Passanten stehen blieben und kurz der Demo lauschten, oder stattdessen eilig vorbeigehen, und während alle Teilnehmer oder Mitläufer der Demo aufgrund ihrer Blicke, ihres Verhaltens, auch als solche zu erkennen waren, blieben die beiden "Streetworker" cool in ihren Dialog-Rollen stecken, begleiteten die ganze Demo, stets die Demo ignorierend. Damit das ganze nicht auffällt, haben sie, abgesehen von ihren gelangweilt, beiläufig wirkenden Gesprächen noch ein paar Ideen vorgesehen: Die ersten 10 Minuten rauchen sie genüsslich eine Zigarette, die nächsten 10 Minuten verzehren sie gemütlich einen am Weg gekauften Eis-Becher (danach hab ich mich nicht mehr für sie interessiert).
Viel uncooler waren aber jene aus Sabotage-stammenden Typen, die allen ernstes mit Leder-Jacken, Jeans-Jacken und Mänteln, wahlweise im ungepflegten 3-Tage-Bart-Stoppelglatze-Schwerverbrecher-Stil oder im schnauzbärtigen 70er-Jahre-Detektiv-Stil, die Demo begleiteten. Zumeist in 2er-Teams unterwegs, gab es auch ein 3er- oder 4er-Team, nämlich jenes, das ganz vorne an der Demo das kleine vergnügt herumhüpfende Grüppchen Punks filmte und fotografierte, andere Kollegen hatten historisch-große Funkgeräte in der Jackentasche und vereinzelt auch Headsets bei sich.
Was das ganze noch skurriler macht: Irgendwie dürfte einigen von denen nicht entgangen sein, dass ich sie die ganze Zeit beobachte - und so erntete ich gelegentlich misstrauische Blicke, die einmal "Was macht der?" zu fragen schienen, ein anderes Mal ein nachdenkliches "Ist das ein Kollege?".
Insgesamt habe ich etwa 10 Zivil-Beamte als solche erkannt. Bei der Größe der Demo (unterwegs dehnte sie sich ganz schön aus) und der Anzahl der offensichtlichen Zivil-Beamten ist aber davon auszugehen, dass noch einige mehr im Dienst waren - mal abgesehen von jenen, die in ihren Autos irgendwo in der Umgebung rumsitzen und -fahren. Fazit: Ein Großeinsatz von Zivil-Fahndern sondergleichen, der mir in diesem Ausmaß an noch keiner (vergleichbar großen) Demo aufgefallen wäre. An diesem 1. Mai 2010 konnte die StaPo wohl wieder höchst erfolgreich zahlreiche Personenakten ausbauen und neue anlegen. Ein Hoch auf die Bespitzelung der Zivilgesellschaft! Und respect für die, wenn vielleicht auch nicht ganz freiwillige, Transparenz bei dieser Bespitzelung! So macht Beobachten der Beobachter Spaß!