Vom Kreuz mit dem Rückgrat
Am 19.05.2009 fand im Linzer Kulturhaus OK die Verleihung des Goldenen Rückgrats statt. Der Preis wurde anlässlich der Prügelaffäre am 1.Mai in Linz kurzfristig ins Leben gerufen. Ausgezeichnet werden sollen damit Menschen, die durch ihre außergewöhnliche Zivilcourage hervorstechen. Im Kontext der aktuellen Geschehnisse war Rainer Zendron der verdiente erste Preisträger. Eine durchaus unterstützenswerte Sache – deren Kinderkrankheiten aber nicht verschwiegen werden sollen.
Es gilt als Wesenszug linker und fortschrittlicher Bewegungen, sich gegenseitig schlecht zu machen und das Trennende über das Gemeinsame zu stellen. Ich möchte in diese „Selbstzerfleischung“ nicht einstimmen. Aber ich möchte die Preisverleihung, von der ich gerade komme, auch nicht unkommentiert lassen – im Sinne einer konstruktiven Kritik will ich problematische Ansätze aufzeigen. Denn die Veranstaltung war tatsächlich etwas unrund: eröffnet vom Linz09-Kointendanten, besetzt mit einem SP-Gemeinderat und gekennzeichnet durch eine etwas pathetische Laudatio sind mir ein paar Sachen aufgefallen, zu denen ich nicht schweigen möchte.
Die halbe Intendanz und ihre Feinde
Die Preisverleihung darf – ein wenig im Gegensatz zu den Demonstrationen Anfang Mai – als Zeichen einer bürgerlichen Zivilgesellschaft verstanden werden. Das ist gut so. Jede Subkultur braucht Mainstream, jede revolutionäre Bewegung mutmaßlich auch ihre Partei, und es ist für die Aufklärung der Prügelcausa unumgänglich, dass sich auch Intellektuelle, Bürgerliche und parlamentarische Linke öffentlich gegen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit und zweifelhafte Knüppeleinsätze durch Exekutivebeamte auflehnen. Eröffnet wurde die Verleihung vom 09-Vize Uli Fuchs. Es ist schön, dass er sich mit seinem Amt für die Aufklärung der Affäre einsetzt, es ist wichtig, dass er als Intendant der österreichischen Zivilgesellschaft ein Armutszeugnis ausstellt. Aber es ist sehr bedenklich, wenn er seine Macht am Podium dafür nutzt, in der Eröffnungsrede einen nicht anwesenden Szeneaktivisten namentlich anzugreifen, der durchaus polemisch das Verhältnis der Intendanz zur freien Szene mit dem einer Prügelpolizei zu 1.Mai-DemonstrantInnen verglichen hat. Solche Vergleiche mag man gerechtfertigt finden oder nicht, dies zu diskutieren ist hier nicht Thema – sie bei der Eröffnungsrede zu einer Preisverleihung für zivilcouragiertes Verhalten in Abwesenheit des Betroffenen ins Auditorium zu schleudern („Denken sie darüber nach!“) erscheint aber eher persönlich motiviert als sachlich begründet und der Sache insgesamt abträglich.
Vom Kummer der Sozialdemokratie
Mit so etwas kann ich als gelernter und bezahlter Kulturhauptstadtbewohner leben, von gekränkten Eitelkeiten und ein paar Menscheleien lasse ich mir einen Abend nicht verderben. Schwierig wird es aber, wenn sich die Sozialdemokratie spontan engagiert. Die SPÖ hat bislang, trotz vielfacher interner Anläufe und einiger öffentlicher Aufforderungen, sehr unvornehm zu dem Polizeiangriffen geschwiegen – schließlich ist Wahlkampf, und die SPÖ hat berechtigte Angst, den anderen Parteien Wahlkampfmunition zu liefern. Selbst die eigenen Organisationen (Kinderfreunde, Volkshilfe) wurden öffentlich nicht-unterstützt, als die ÖVP Subventionsentzug für alle Initiativen forderte, die sich für die Aufklärung der Vorfälle am 1.Mai einsetzen.
Doch nun – entweder aus später Einsicht oder halbherziger Unterstützung – schickt der rote Bürgermeister liebe Grüße und einen Boten: einen roten Gemeindemandatar, dessen Hauptaugenmerk darauf liegt, im Gemeinderat gegen die Vorverurteilung von DemonstrantInnen UND Polizisten zu resolutieren. So viel Vertrauen in den Rechtsstaat scheint mir Anhand des Anlasses gewagt, und die bewusste Unparteilichkeit der Partei zur Causa verstört: immerhin wurde das Goldene Rückgrat einer Person verliehen, die wie andere an diesem Tag dezitiert Opfer einer versagenden Rechtsstaatlichkeit wurden. Das Goldene Rückgrat wurde nicht den weinenden Polizisten verliehen, nicht den Krone-Leserbriefautoren oder der Linzer ÖVP-Kandidatin, nein, es wurde bewusst an Rainer Zendron verliehen. Der Solidarisierungsbewegung mit den von Polizeigewalt Betroffenen wird durch die Aussagen des SP-Mannes indirekt, aber unüberhörbar eine Vorverurteilung der Polizei unterstellt – auch dies mag vielleicht irgendwo legitim sein, aber um dies den AktivistInnen unter die Nase zu reiben, hätte sich die SPÖ durchaus ein anders Forum suchen müssen.
Vom Charme der Wirbeltiere
Dass ich die Preisverleihung nicht nur von der Idee, sondern auch von der Umsetzung, wichtig und gut finden kann, sie als unterstützungswürdig und wiederholenswert erachte, verdankt das Zeremoniell nicht zuletzt dem Preisträger: Rainer Zendron schaffte es in seiner spontanen Dankesrede, einige Patzer auszubessern und hat damit wohl tatsächlich (schon wieder) Rückgrat bewiesen. Er betonte, dass nicht er, sondern insgesamt 6 Personen am 1.Mai verhaftet wurden. Er betonte, dass alle Betroffenen Öffentlichkeit verdienten, nicht nur er als gut vernetzter Vizerektor, und forderte das Publikum auf, seine Solidarität auch jenen zu schenken, die sie normalerweise nicht erfahren würden. Er betonte die Solidaritätsarbeit der Szene-AktivistInnen und die Breite des Bündnisses, das sich für die Rechte der Geprügelten einsetzte, und die Wichtigkeit eines gemeinsamen Vorgehens ohne Übergehung derjenigen, die immer übergangen werden.
Schade, dass der Preisträger selbst die wichtigen Worte finden musste.