"Lächerlich, irgendwelche Gewalttaten zu vermuten"
Rainer Zendron, Vize-Rektor der Linzer Kunst-Uni, über "willkürliche" Verhaftungen nach der Ersten-Mai-Demo in Linz und "himmelschreiende" Urteile der Justiz
"Wenn es mich nicht auch erwischt hätte, wären die Burschen und Mädels verknackt worden und keine Sau hätte ein Ohr gerührt", sagt Rainer Zendron, Vize-Rektor der Kunst-Uni Linz, der seine Funktion derzeit ruhend gestellt hat, zu den Vorkommnissen am ersten Mai in Linz. Er und vier weitere Personen sind vor Beginn einer Demonstration festgenommen worden. Ihnen wird versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen.
Zendron kritisiert im Interview mit derStandard.at, dass die Versammlung "ohne jeden Grund gesprengt" wurde und bedauert, dass den Polizisten vor Gericht "ganz offensichtlich" mehr geglaubt wird als anderen. Die Fragen stellte Rosa Winkler-Hermaden.
derStandard.at: Es haben jetzt schon einige der insgesamt fünf Prozesse, die das Einschreiten der Polizei am ersten Mai verursacht hat, stattgefunden. Wie beurteilen Sie die Arbeit der Justiz bisher?
Zendron: Ich bin hier zweigeteilt. Im wesentliche laufen die Prozesse relativ erfolgreich. Es hat bis jetzt nur eine Verurteilung gegeben. Hier schätzt unser Anwalt jedoch, dass das in der nächsten Instanz sehr eindeutig gewonnen wird. Trotz alledem, auch wenn alle Beschuldigten freigesprochen werden, bleibt bei mir ein sehr großes Unbehagen zurück. Vor allem deswegen, weil Mai-Demonstrationen eine besondere symbolische Bedeutung haben. Die gibt es seit mehr als hundert Jahren. In Linz hat es - zumindest seit Ende des NS-Faschismus - keinerlei Auseinandersetzungen mit irgendwem gegeben.
derStandard.at: Was hat die Polizei am ersten Mai falsch gemacht?
Zendron: Die Polizei hat die Versammlung ohne jeden Grund gesprengt. Sie beruft sich immer darauf, dass sich ein Block von Vermummten eingeschleust hat - sowohl die Demonstrationsleitung, als auch ich, als auch alle anderen Anwesenden haben aber nicht irgendeinen Vermummten wahrgenommen. Es gab keinen Anlass zu erwarten, dass von irgendwem Gewalt ausgeht.
Trotzdem hat die Polizei sehr willkürlich Leute verhaftet. Am Anfang hat mich das noch nicht gewundert, je mehr Verhandlungen ich sehe, desto überraschter bin ich aber, dass die Staatsanwaltschaft keinerlei ernsthafte Signale gibt, dass gegen die Polizei wegen dieses Eingriffs in irgendeiner Form ermittelt wird. Die Festgenommenen müssen sich jetzt freuen, dass sie nicht irgendwo ins Häfn kommen. Es erscheint mir als vollkommene Umkehr der Realität.
derStandard.at: Warum glauben Sie, hat die Polizei so hart durchgegriffen?
Zendron: Ich kann es mir nicht ganz erklären. Es ist ein Traditionsaufmarsch, genauso, wie wenn die Goldhauben aufmarschieren. Es ist lächerlich, irgendwelche Gewalttaten zu vermuten. Normalerweise gehen bei solchen Demonstrationen um die zehn eher dickleibige Beamte mit, auf einmal waren dort hundert Polizisten in Kampfausrüstung. Das ist nur dadurch zu erklären, dass die Nationale Volkspartei angekündigt hatte, am ersten Mai einen Aufmarsch in Linz zumachen. Der hat dann nicht stattgefunden, aber es ist die einzige Erklärung, warum so viele Sondereinheiten anwesend waren. Vielleicht haben sie sich gedacht, wenn sie schon da sind, müssen sie irgendwas tun.
derStandard.at: Ein Angeklagter wurde nun zu einer - noch nicht rechtskräftigen - bedingten Geldstrafe von 360 Euro verurteilt. Wie haben Sie seinen Prozess mitverfolgt?
Zendron: Er war wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt angeklagt. Drei Polizisten haben gegen ihn ausgesagt. Auf den Videos wurde nachgewiesen, dass er sich zunächst überhaupt nicht gerührt hat und keinen Kontakt zu den Polizisten hatte. Am Schluss des Videos taucht für fünf Sekunden eine Person zwischen Kamera und Demonstranten auf, man kann nichts mehr erkennen. Man sieht nicht, was der Demonstrant tut und darauf hin wird er im Zweifel, weil der Richter sagt, es gibt keinerlei Grund, warum ein Polizist lügen sollte, verklagt. Das ist himmelschreiend.
derStandard.at: Der Polizei wird mehr geglaubt als dem Demonstranten?
Zendron: Ganz offensichtlich. Und das obwohl das eigene Polizeivideo belegt, dass die Aussagen nicht stimmen können.
derStandard.at: Worauf ist dieses Verhalten zurückzuführen?
Zendron: Ich komme zu dem Schluss, dass wir in einem Staat leben, wo prinzipiell die Aufrechterhaltung der Ordnung wesentlich höher bewertet wird, als jedes gesellschaftliche Engagement.
derStandard.at: Glauben Sie, dass sich durch die Prozesse etwas ändern wird?
Zendron: Einer der glücklicheren Zufälle war ja der, dass ich einer der Verhafteten war und das relativ großes Medienecho erzeugt hat. Ich bin zutiefst überzeugt, wenn es mich nicht auch erwischt hätte, dann wären die Burschen und Mädels verknackt worden und keine Sau hätte ein Ohr gerührt. Ich will jetzt nicht meine Person überschätzen, aber es ist ein Zufall, dass es wen erwischt hat, dem man nicht nachsagen kann, dass er ein Rabauke ist. (derStandard.at, 24.8.2009)
Zur Person: Rainer Zendron ist Vize-Rektor der Kunst-Universität in Linz. Seine Funktion hat er derzeit ruhend gestellt. Er will verhindern, dass eine mögliche "öffentliche Hetze" gegen seine Person anlässlich des Prozesses einen Nachteil für die Universität bringt. Er wurde bei der Demonstration des "Aktionskomitees 1. Mai" wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt festgenommen.