1. Mai Linz: Polizeibeamte vor Gericht?
[Eine Zusammenfassung (Stand 16.10.09) der Rechtshilfe zu den juristischen Belangen:]
Es ist wieder einmal an der Zeit die letzten Wochen Revue passieren zu lassen und die neuen Entwicklungen bezüglich der juristischen und medialen Aufarbeitung der Ereignisse vom 1. Mai in Linz zusammenzufassen. Wie es scheint wendet sich nun das Blatt und nachdem die Prozesse der Demonstrant_innen sich dem Ende zuneigen, beginnt die gerichtliche Auseinandersetzung um die polizeilichen Prügelattacken.
Der Freispruch von Günther ist in der Zwischenzeit rechtskräftig. Schon jetzt und vor dem letzten Prozess ist klar, dass der Versuch der Kriminalisierung von antifaschistischem und linkem Engagement diesmal nach hinten losgegangen ist. Ein Verfahren wurde eingestellt, zwei Freisprüche erwirkt und eine bedingte Verurteilung zu 360 Euro ausgesprochen (diese ist noch nicht rechtskräftig). Keiner der von der Polizei ins Feld geführten Anzeigen wegen schwerer Körperverletzung folgte ein Strafantrag der Staatsanwaltschaft. Für den Prügeleinsatz fehlt nun jede nachträgliche Legitimation. Nun bereiten sich die Betroffenen, der Anwalt und die Rechtshilfe einerseits auf den letzten Prozess in 1.Instanz vor und gehen andererseits dazu über mit Nachdruck eine gerichtliche Verfolgung der Übergriffe durch die Polizei einzufordern.
Als Replik der letzten Verhandlung und dem Freispruch von Günther wurde nun vom Bündnis gegen Polizeigewalt bei einer Pressekonferenz am 14. Oktober jenes ORF Video präsentiert, dass unter anderem zum Freispruch geführt hat. Der Freigesprochene selber hatte dabei in einem kurzen Rollentausch das Video mit Aussagen jenes Polizisten kommentieren, der durch seine Prügelorgie traurige Berühmtheit erlangte. Dabei wurde der eklatante Widerspruch sichtbar der zwischen der Wahrnehmung des Polizisten und den objektiven Beweisen besteht. Jene Wahrnehmung hatte sich zwischen dem ersten Prozesstermin im Juli und dem zweiten im September noch verfestigt. Auch nach mehrmaligem Nachfragen von Richter und Verteidiger blieb der Polizist der Einsatzeinheit Lentos bei seiner Version. Nachstehend einige Zitate aus den Protokollen der beiden Verhandlungen gegen Günther (G. und F. sind Polizisten, H. ein weiterer Angeklagter), vergleicht selber:
"Zeuge G.: Ich habe den Fußtritt gegen den Kollegen F. gesehen, und dass er mit der Faust um sich gehaut hat." (HV-Protokoll vom 28.7.2009, S. 22)
"Zeuge G.: … war meine Wahrnehmung die, dass Herr Mag. Z. mit der linken Hand versucht, Herrn E. herauszureissen und gleichzeitig mit der rechten Körperhälfte – rechter Fuß und rechte Faust – um sich schlägt." (HV-Protokoll vom 28.7.2009, S. 25)
"Verteidiger: Das erste Mal haben Sie gesagt, vor Ihrem ersten Schlag muss der Fußtritt erfolgt sein, nach Ihrer Wahrnehmung. Bleiben Sie dabei?
Zeuge G.: Ich habe diesen Fußtritt wahrgenommen. Das war für mich ein Paket, dieses Zurückreissen des E. und diese körperliche Attacke gegen F.
Verteidiger: Und daraufhin haben sie das erste Mal den Schlagstock erhoben?
Zeuge G.: Ja." (HV-Protokoll vom 17.9.2009, S. 5)
Den link zum ORF-Video sowie die aktuellen Medienberichte nach der Pressekonferenz findet ihr auf http://antifa.servus.at/pressespiegel.
Weil es wohl von Seiten der Polizei sehr schwer ist sich mit dem Freispruch von Günther abzufinden bekam dieser nun Post vom Strafamt der Bundespolizeidirektion Linz, eine Strafverfügung. Er habe, wie von Polizeibeamten festgestellt worden ist, vorschriftswidrig an einer Versammlung teilgenommen, „da Sie einen Gegenstand mit sich geführt haben, der dazu bestimmt war, die Feststellung der Identität zu verhindern, indem Sie ein Halstuch bei sich gehabt haben“. Nach § 9 Abs. 1 Z. 2 Versammlungsgesetz (dem sogenannten Vermummungsverbot) soll er nun 90 Euro zahlen oder 72 Stunden einsitzen. Die erste Reaktion wie immer bei solchen Strafverfügungen: Einspruch erheben.
Bezüglich des Prozesses in 1.Instanz des jungen Demonstranten aus der Steiermark (der zu 360 Euro bedingt verurteilt wurde) wurde nun vom Anwalt Berufung wegen Nichtigkeit und des Ausspruches über die Schuld eingebracht. Wann es zu einer Berufungsverhandlung beim Oberlandesgericht kommen wird ist noch nicht absehbar, möglicherweise aber noch in diesem Jahr.
Die Verhandlung von Rainer Zendron, dessen Strafantrag wegen 'Widerstand gegen die Staatsgewalt' durch die Intervention des Justizministeriums zustande gekommen ist, ist für den 5. November angesetzt. Die Staatsanwaltschaft wollte eigentlich das Verfahren gänzlich einstellen. Von 2x 'Widerstand gegen die Staatsgewalt' und 1x 'schwere Körperverletzung' ist nun jedoch nur 1x Widerstand übrig geblieben. Alle sind eingeladen dieser mit Spannung erwarteten Verhandlung beizuwohnen.
Die Verhandlungen über jene drei Beschwerden beim Unabhängigen Verwaltunssenat, die durch den Anwalt eingebracht wurden sind zur Zeit Ausgesetzt und werden nach dem Prozess gegen Rainer Zendron weiter geführt.
Mit Freude wurde vom Bündnis gegen Polizeigewalt auch zur Kenntnis genommen, dass sich neben der Volksanwaltschaft nun auch der Menschenrechtsbeirat mit den Ereignissen vom 1. Mai und vor allem mit der Performance der Polizei in den darauffolgenden Ermittlungsverfahren beschäftigt. Es sei nur kurz an das der Staatsanwaltschaft nicht weiter geleitete Polizeivideo und den haarsträubenden Umgang mit dem belastenden Aktenvermerk erinnert, der zum Strafantrag gegen Hansi geführt hat. Dieser wurde ja bekanntlich von einer Hand voll Polizisten unterschrieben, die im Prozess zugeben mussten, von dem beschriebenen Sachverhalt nichts mitbekommen zu haben.
Nun haben sich die Betroffenen der Polizeigewalt vom 1. Mai mit ihrem Anwalt Mag. Rene Haumer entschieden eine Sachverhaltsdarstellung zum Verhalten von vier Polizisten am 1.Mai an das Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) zu senden. Das BIA führt die kriminalpolizeiliche Ermittlungen bei Verdachtslagen von Amtsdelikten und von Korruption. Es obliegt nun dem Büro für Interne Angelegenheiten im Innenministerium diese Sachverhalte zu prüfen und gegebenenfalls die Ergebnisse der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft weiter zu leiten. In dieser Sachverhaltsdarstellung werden die durch die Videos dokumentierten Geschehnisse dargestellt. Aufgrund der Videos besteht der dringende Verdacht des Amtsmissbrauchs und der körperlichen Misshandlung bzw. Körperverletzung unter Ausnutzung der Amtsstellung. Kern der Sachverhaltsdarstellung sind die Schlagstockeinsätze. Einleitend regt der Anwalt jedoch auch an das Aussageverhalten der Polizisten vor Gericht einer Überprüfung zu unterziehen. Der Anwalt der Betroffenen Mag. Rene Haumer schreibt in der Vorbemerkung zur Sachverhaltsdarstellung:
"Ihr völlig überzogenes Einschreiten versuchte die Polizei mit (vorgeblichen) Attacken von Demonstrationsteilnehmern (sic!) zu rechtfertigen. Diese Rechtfertigungsstrategie muss zwischenzeitlich aufgrund der rechtskräftigen Freisprüche [...] sowie der rechtskräftigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens als gescheitert bezeichnet werden. Zweck dieser Sachverhaltsdarstellung ist es nun, den von der Polizei bislang verweigerten inneren Selbstreinigungsprozess in Gang zu setzen, ohne dabei eine der Gesellschaft vorbehaltene politische Bewertung des Umgangs der Polizei mit polizeilichem Fehlverhalten vornehmen zu wollen."
Der Verlauf der Ermittlungen wird unter Ausnutzung der den Betroffenen zukommenden Opferrechte ständig beobachtet werden. Die Betroffenen können sich darüber hinaus entscheiden Amtshaftungsansprüche zu stellen, diese müssen bei der Finanzprokuratur (als Anwaltskanzlei der Republik Österreich) eingefordert werden. Ein zivilrechtliches Verfahren wegen Schmerzensgeld gibt es, wenn die Gewalt von der Staatsgewalt ausgegangen ist, nicht.
Natürlich war in der Vorbereitung der Sachverhaltsdarstellung auch Thema, dass dem BIA als Abteilung des Innenministeriums nicht sehr viel Vertrauen gegenüber gebracht wird bzw. ob es nicht sinnvoller ist die Sachverhaltsdarstellung direkt bei der Staatsanwaltschaft zu deponieren. Dieser Weg wurde nun gewählt, weil das BIA bereits in der Sache ermittelt. Die Staatsanwaltschaft, bei der in dem Zusammenhang ein Akt gegen "unbekannte Täter" liegt hat das BIA schon zuvor mit Ermittlungen beauftragt. Somit handelt es sich nur um eine Abkürzung.
Laut Medienberichten hat die Polizei Linz schon die ersten Konsequenzen gezogen, jene Beamten die nun in der Kritik stehen sollen künftig nicht mehr zu Einsätzen der Einsatzeinheit herangezogen werden. Die Polizeiführung geht nun auf einmal auf Distanz zu ihren Beamten und spricht davon das das Verhalten einzelner überprüft werden muss. Angeblich hätte die Einsatzleitung stets auf Deeskalation gesetzt, sei dann aber von der Entwicklung überrascht worden. Einige wenige seien plötzlich ausgezuckt, minutenlang sei die Einsatzleitung mit ihren Befehlen nicht mehr durchgedrungen. Die haben sich wohl alle miteinander nicht im Griff.
Bei all diesen aufgezeigten Fällen geht es um konkretes Fehlverhalten einzelner Beamter. Dem „Bündnis gegen Polizeigewalt“ war es auch wichtig, erneut darauf hinzuweisen, dass dieses den gesamten Polizeieinsatz, also die Einkesselung von Teilen und Verhinderung der gesamten Maidemonstration, für demokratiepolitisch höchst fatal hält und von den Verantwortlichen in der Polizei ein Überdenken ihrer Strategie einfordert. Ob Forderungen an die Polizei, abgesehen von der nach der Selbstauflösung, sinnvoll sind sei hier einmal ausgeklammert, jedoch ist es durchaus wichtig die gesamte Amtshandlung am 1. Mai sowie die Staatsgewalt als solche zu hinterfragen. Ein wenig besteht zur Zeit die Gefahr, dass einige wild gewordene Polizeibeamte als Sündenböcke abgestempelt werden und ansonsten oder dadurch das Vertrauen in den (Rechs)Staat wieder steigt. Daher muss, auch wenn die Sachverhaltsdarstellung das konkrete Verhalten von 4 Polizisten beinhaltet, weiterhin auf das Problem der Staatsgawalt durch ihre bewaffneten Arm, die Polizei hingewiesen werden. Auch und besonders nach den Vorfällen in Krems. Der gesamte Einsatz und die Polizei als Institution und 'Staatsgewalt' muss in Frage gestellt werden.
Autonome Rechtshilfe (Linz)